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Was Arbeit auf dem 2. Arbeitsmarkt für mich bedeutet(e)



Der folgende, sehr nachdenkenswerte Text beschreibt die Bedeutung von Arbeit für eine Frau mit psychischer Erkrankung aus deren Perspektive. Frau M. berichtet über ihre Arbeitserfahrung in einem Zuverdienstprojekt. Sie bezeichnet sich selbst als einen „sozialphobischen Menschen“ und hat reguläre Arbeitverhältnisse immer als sehr belastend empfunden. Das Zuverdienstprojekt mit dem Titel „Arbeit innerhalb der BeschäftigungsRäume“ war ein Arbeitsprogramm der Stadt, finanziert mit Zuschüssen des Landes für SGB XII-Berechtigte. Die Arbeitsplätze stellten in der Regel freie und gemeinnützige Träger zur Verfügung, die Arbeitszeit wurde individuell vereinbart und lag zwischen 2 und 15 Stunden die Woche. Frau M. arbeitete bei einem Psychiatrie-Verein und übernahm dort Büroarbeiten und Botengänge. Ihre Arbeitszeit betrug 2 - 4 Wochenstunden. Der verhältnismäßig geringe Arbeitsumfang und das offene Setting entsprachen exakt ihren Bedürfnissen. Sie erhielt eine nicht anrechenbare Aufwandsentschädigung von 50 Euro im Monat, zuzüglich einem Euro pro Arbeitsstunde. Leider war die Finanzierung des Programms befristet und wurde nicht verlängert, so dass Frau M. heute wieder arbeitslos ist. Hier ihre rückblickende Einschätzung ihrer beruflichen Tätigkeit.

Die „Arbeit innerhalb der Beschäftigungsräume“ bedeutete mir viel, denn ich hatte eine Aufgabe, ein Ziel, um aus dem Haus zu gehen, unter Menschen. Es war eine neue und gute Erfahrung für mich, einen Arbeitsplatz zu haben, der mich nicht überforderte (nur zu Anfang), bei dem ich das Recht hatte, eine Grenze zu setzen, wenn mir etwas zu viel wurde oder ich mir etwas nicht zutraute. Auch, dass ich gleich zu Beginn gemeinsam mit meiner damaligen Betreuerin und der Vermittlerin überlegen und argumentieren konnte, was ein passender Rahmen für mich ist. Anders als auf dem ersten Arbeitsmarkt, auf dem man quasi alles machen muss, was von anderen (dem Amt) vorgeschlagen wird. Das übt enormen Druck auf jemanden aus, der psychische Beeinträchtigungen hat.

Es gab mir ein angenehmes Gefühl, etwas durch Arbeit zurückzugeben, wenn man ansonsten von der Gesellschaft lebt! Es war ebenso ein gutes Gefühl, etwas für Menschen tun zu können, obwohl ich Angst vor selbigen habe, dass es dort eine Art Nische für mich gab. Ich konnte einer sinnvollen Arbeit nachgehen, mit dem Gefühl gebraucht zu werden, ohne gleichzeitig das Gefühl vermittelt zu bekommen, ausgenutzt zu werden. Hier wurden persönliche Grenzen geachtet, das war ein enormer Unterschied zum ersten Arbeitsmarkt.

Die Gesellschaft legt großen Wert auf Arbeit, allgemein Beschäftigung und Leistung – vor allem auf Leistung. Machst du nichts, bist du nichts. Durch meine Familie habe ich gelernt und vorgelebt bekommen, dass man entweder von der Gesellschaft (s.o.) oder für die Gesellschaft lebt und dass ersteres zu verachten sei. Folglich verachte ich mich selbst, wenn ich nichts tue. Ich fühle mich aber wiederum schnell ausgenutzt, wenn ich für einen (industriellen) Betrieb arbeite und dabei über meine eigenen Grenzen gehe. Zwar funktioniere ich dann nach außen hin, bin aber nicht so belastbar wie andere, was sich dann auf meine Psyche auswirkt.

Die „Arbeit innerhalb der Beschäftigungsräume“ gab mir auch die Möglichkeit, mich in einem sicheren Rahmen meinen (sozialen) ängsten und dem Perfektionsdrang zu stellen und somit der Isolation entgegenzuwirken. Das war (und ist es noch immer) eine große Herausforderung für mich. Somit hatte ich auch außerhalb der „Psychiatrieszene“ etwas vorzuweisen, dass ich arbeite - besonders bei Leuten, die dies nichts angeht, aber neugierig sind. Außerdem ist das Thema Arbeit bei einem Kennenlernen leider meistens von enormer Wichtigkeit. Somit war es auch ein Stück weit Mittel zum Zweck, eine Art Fassade nach außen hin aufzubauen. Ein Selbstschutz, wenn ich nicht sofort zugeben konnte, am Rande der Gesellschaft zu stehen. Es ist wie eine Art Daseinsberechtigung durch Arbeit, indoktriniert von Familie und Gesellschaft. Manche Menschen können sehr hartnäckig sein, wenn sie etwas wissen wollen, was für einen sozialphobischen Menschen wie mich eine mittlere Katastrophe auslösen kann, in die Enge gedrängt zu werden.

Es gab mir ein gutes Gefühl, zu sehen, etwas geschafft zu haben und auch die mir entgegengebrachte Dankbarkeit, geholfen zu haben; ebenso das mir entgegengebrachte Vertrauen und dabei das Gefühl der Menschlichkeit zu spüren und auch selbst ein Mensch zu sein und keine Maschine – der gegenseitige Respekt, der dahinter steht. Das habe ich auf dem ersten Arbeitsmarkt oft vermisst.

Auch die kleine Aufwandsentschädigung war ein kleiner Ansporn, etwas zur Rente hinzufügen zu können und dieses Geld wirklich mit eigenen Händen verdient zu haben.

Meine andauernde, von ehemaligen Vorgesetzten vorgeworfene bzw. bemängelte Schwäche zu langsam zu sein, spielte hier keine Rolle. Das war sehr entspannend und die Arbeit machte somit auch mehr Freude, nicht unter Druck zu sein.

Ich habe auf dem ersten Arbeitsmarkt bzw. während der Zeit in einer Arbeitstherapie festgestellt, dass dort teilweise kaum oder gar keine Unterschiede zur „normalen“ Arbeitswelt bestehen. Dort herrschen ebenso Neid und folglich Mobbing wie auf dem ersten Arbeitsmarkt auch.

Schwer war es für mich, als ich durch einen Integrationsfachdienst eine Praktikumsstelle auf dem ersten Markt gefunden hatte und dort somit sozusagen eine Art „Sonderstellung“ zu haben. Denn es fiel auf, dass ich „anders“ war, meine Defizite hatte. Auch wenn ich weiß, dass ein jeder seine Probleme und Eigenheiten hat, auch ganz unabhängig von Krankheit, war es für mich schwer auszuhalten.

Meine Wünsche an das System
Vom System wünsche ich mir, dass man als Frührentner, der aufstockend SGB XII bekommt, die Möglichkeit bekäme, mehr hinzuverdienen zu dürfen als 80 €/Monat. Zudem ist es ein Unterschied, ob man als Hartz IV-Bezieher, der nicht krankgeschrieben und voll belastbar ist, die Möglichkeit hat, 15 Std/Woche arbeiten zu können oder als nicht belastbarer Frührentner. Ersterer hat bei 15 Std/Woche und 1 €/Stunde (was allgemein viel zu wenig ist) somit die Möglichkeit auf 60 €/Monat zu kommen, wozu ein nicht so belastbarer Frührentner erst gar nicht die Chance hat. Das System hält einen sogenannten Almosenempfänger systematisch klein.Zudem darf ein Hartz IV-Empfänger mehr an Verdienst behalten, als ein SGB XII-Empfänger (zumindest, was nicht zu einer Aufwandsentschädigung/ Motivationsprämie gehört). Ist das gerecht?

Christiane M.

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