Dezember 2014

Newsletter EUROPA-Akademie

Fortbildungsinstitut für Teilhabe und Inklusion


Gesetzliche Festschreibung des Integrationsauftrags der WfbM



Es ist Zeit, die Werkstattgesetzgebung einer kritischen Betrachtung zu unterziehen. Welche Vorgaben haben sich überlebt? Welche Hilfen braucht berufliche Teilhabe heute und welche Rolle sollen die Werkstätten dabei spielen? Diese Beitragsreihe benennt Probleme und Fehlentwicklungen und macht Vorschläge für eine Gesetzesnovellierung.

Die Werkstätten sind 40 Jahre alt. 1974 wurden sie im Schwerbehindertenrecht verankert und die Leistungsberechtigten erhielten einen weltweit einzigartigen Rechtsanspruch auf Arbeit.

Seitdem hat sich viel getan:
• Die Zahl der Werkstattplätze ist fünfmal so hoch wie ursprünglich geplant. • Autonomie und Selbstbestimmung ersetzen im SGB IX Fürsorge als pädagogische Leitvorstellung. • Die UN-Behindertenrechtskonvention gibt Inklusion als gesellschaftliches Ziel vor, Sondereinrichtungen stehen auf dem Prüfstand.

Es ist Zeit, die Werkstattgesetzgebung einer kritischen Betrachtung zu unterziehen. Welche Vorgaben haben sich überlebt? Welche Hilfen braucht berufliche Teilhabe heute und welche Rolle sollen die Werkstätten dabei spielen? Diese Beitragsreihe benennt Probleme und Fehlentwicklungen und macht Vorschläge für eine Gesetzesnovellierung.

Folge 5 befasst sich mit der gesellschaftlichen Integration von Werkstätten und ihren Beschäftigten und fordert eine Verankerung der „Sozialraumorientierung von WfbM“ in der Gesetzgebung

Der Auftrag der Werkstätten lautet, Menschen mit Behinderungen die Teilhabe am Arbeitsleben und damit am Leben in der Gesellschaft zu ermöglich. Der Gedanke bestmöglicher Teilhabe an allen Lebensbereichen steckte schon im Normalisierungsprinzip, das in den 1950er und 1960er Jahren der Motor für die ersten Werkstattgründungen war. Noch eindeutiger fasste die UN-Behindertenrechtskonvention diese Zielsetzung.

Werkstätten hatten von Beginn an weniger die gesellschaftliche Integration im Auge, sondern konzentrierten sich eng auf die berufliche Teilhabe. Ein Beleg: Werkstattbetriebe finden sich vorwiegend in Gewerbegebieten, mit guten Fertigungsbedingungen, aber ohne Anbindung an das Leben in der Kommune. Gesellschaftliche Kontakte sind so kaum möglich. Bei genauem Hinsehen ermöglichen Werkstätten aber auch eine „Teilhabe am Arbeitsleben“ nur eingeschränkt. Es fehlen der Erwerbscharakter der Arbeit, die Wahlfreiheit und die Arbeitnehmerrechte. Werkstattbeschäftigte können von ihrer Tätigkeit nicht leben und sie haben in der Regel auch keine Alternative zur ihrer Werkstatt. Ihr Unternehmen ist streng in einen Betreuer- und Betreutenbereich gegliedert, mit jeweils eigenen Rollen, Regeln und Gremien. Inklusiv ist das nicht. Dies liegt aber nicht an den Werkstätten selber, sondern an ihren gesetzlichen Vorgaben. Werkstätten sind eben Zweckunternehmen mit dem Ziel einer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft.

Daraus folgt: Die Werkstatt hat eine andere Ausrichtung als der Metallverarbeitungsbetrieb nebenan. Der funktioniert nach einer Wirtschaftslogik, seine Ziele sind Wertschöpfung und Profit, seine Mitarbeiter erwarten für ihre Arbeitsleistung am Monatsende einen Lohn, von dem sie leben können. Gesellschaftliche Integration, Sinngebung oder Selbstverwirklichung sind zweitrangig. In der Werkstatt stehen Integration, Sinngebung und Selbstverwirklichung an erster Stelle. Und weil trotz des Inklusionsgebots der UN-Konvention eine Vermittlung der Beschäftigten in den meisten Fällen (noch) nicht gelingt, muss die Werkstatt sich besonders an ihrer Integrationsleistung messen lassen. Sie muss das Denken und Handeln der Verantwortlichen bestimmen, die Struktur und die Angebote der Werkstatt müssen darauf ausgerichtet sein. Die Forderung an die aktuelle Reform der Eingliederungshilfe lautet daher, die „Sozialraumorientierung von Werkstätten“ im Werkstattrecht verbindlich festzuschreiben.

Diese Anforderung bedeutet nicht etwa, kurzfristig Standorte in den Gewerbegebieten zu schließen. Es geht um eine langfristige Strategieänderung, die den Beschäftigten den Zugang zu Betrieben und Kontakte zur Bevölkerung ermöglicht, wenn sie dies wollen. Werkstätten müssen sich als Agenten der Inklusion verstehen und sich auf unterschiedlichen Wegen mit der Region und ihren Bewohnern vernetzen. Fünf Wege, auf denen sich Sozialraumorientierung von WfbM verwirklichen lässt, will ich im Folgenden benennen und mit Beispielen belegen:

1. Verlagerung von Arbeitsplätzen in Betriebe
Dieser Weg beinhaltet ein neues Verständnis der Begriffs „Werkstatt“. Er bezeichnet nicht mehr nur die Bereitstellung von Arbeit in eigenen Räumen. Werkstatt kann auch eine Dienstleistung sein, die Qualifizierungs- und Arbeitsplätze in Betrieben schafft, sie vor Ort unterstützt und begleitet. Dazu bedarf es einer eigenen Werkstattabteilung, die Praktika und Erprobungsmöglichkeiten organisiert, externe Berufsbildung ermöglicht, langfristige Arbeitsbegleitung bietet und Übergänge in eine Festanstellung anbahnt. Betriebsintegrierte Werkstattplätze schaffen inklusive Arbeitsverhältnisse unter dem erweiterten Dach der WfbM und erweitern die Berufsmöglichkeiten der Beschäftigten sehr. Was möglich ist, zeigt das Projekt Integra Mensch der WfbM Bamberg mit 150 betriebsintegrierten Arbeitsplätzen. Bei ca. 550 Beschäftigten sind dies knapp 30% aller dortigen Werkstattplätze.

Einen anderen Weg geht die Werkstatt Bremen. Sie hat über Jahre Werkstattgruppen in Bremer Betriebe verlagert. Werkstattbeschäftigte reinigen die Bänke des Weserstadions, waschen die Einsatzfahrzeuge der Polizei, archivieren Beweismittel für die Staatsanwaltschaft, pflegen die Außenanlagen des Klinikums Ost und sind zuständig für die Inspektion der Betriebsfahrräder von Mercedes-Benz. 14 Außengruppen mit 250 Beschäftigten betreibt die Werkstatt, organisiert als eigenständige Betriebsstätten. Voraussetzung für diesen Integrationserfolg ist eine aktive Beziehungspflege. Wer in dieser Stadt ein wichtiges neues Amt antritt, wird grundsätzlich in die Werkstatt eingeladen.

2. Verlagerung von Betrieben in die Werkstatt
Ein zweiter Weg der Öffnung von Werkstätten für ihr regionales Umfeld ist weniger verbreitet: Die Verlagerung von Fertigungsstätten der Wirtschaft in die Räume der WfbM. Zu den wenigen Beispielen zählt die Kooperation der Elbe-Werkstätten in Hamburg mit einem Digitaldruck-Unternehmen. Die Firma Breitschuh & Kock hat mit ihrem Tochterunternehmen „Elbepartner“ Räume in der Werkstatt gepachtet und betreibt ein Joint Venture mit den Elbe-Werkstätten. Elbepartner ist zuständig für Angebotserstellung, Kundenbetreuung und den Druck von Flyern, Broschüren und Katalogen, die Elbe-Werkstätten für die Weiterverarbeitung und den Versand. In Hamburg ist das Konzept mit der Behörde abgestimmt, anderswo kann es rechtliche Probleme aufwerfen. Die Untervermietung von geförderten Werkstatträumen bewegt sich im Graubereich, deshalb möchten andere Werkstätten, die ähnlich agieren, nicht öffentlich genannt werden.

Dass eine Joint-Venture-Lösung auch mit Beteiligung des Kostenträgers verwirklicht werden kann, zeigt das Beispiel eines Integrationsbetriebs. Die Integrationsfirma Di.hako im Schleswig-Holsteinischen Trappenkamp hat zwei Gesellschafter, die Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie und die Hako GmbH, einen Hersteller von Reinigungsmaschinen. Di.hako fertigt Metallkomponenten für Hako-Maschinen. Hako selber produziert auf demselben Werksgelände Kunststoffteile und in einer gemeinsamen Montageabteilung werden die Elemente zusammengebaut. Die Fläche, der „Gewerbepark Socialtec Trappenkamp“ gehört der Integrationsfirma und wurde mit Hilfe des Integrationsamts Schleswig-Holstein erschlossen. Die Ansiedlung von externen Betrieben in Räumen bzw. auf dem Gelände einer WfbM und ihre Einbindung in Produktions- und Verarbeitungsabläufe ist nicht nur im Sinne der Inklusion, sondern könnte auch ein richtungsweisendes Modell für eine künftige Nutzung von Leerständen in Werkstätten werden.

3. Einsatz von gewerblichem Personal in der Fertigung
Eine solche „Inklusion unter umgekehrten Vorzeichen“ ist auch der Grundgedanke für den dritten Weg der Öffnung von WfbM. Er setzt auf die Beschäftigung von Angestellten ohne Behinderung, die als gewerbliches Personal die Produktion verstärken. Werkstätten mit hohem Lohnniveau gehen diesen Weg schon seit Langem. Die Intec GmbH in Bad Driburg beispielsweise, schon in den 80er Jahren als „Nixdorf-Werkstatt“ bekannt, zahlt ihren Werkstattbeschäftigten Durchschnittslöhne von über 500,- Euro. Ein Drittel der insgesamt 650 Mitarbeiter hat keinen Behindertenstatus. „Zusatzpersonal“ arbeitet in der Projektplanung, in der Arbeitsvorbereitung, in der Fertigungstechnik und im Vertrieb, also in Unternehmensbereichen, die von der Werkstättenverordnung nicht abgedeckt sind und in vielen Werkstätten als Achillesferse gelten. Ohne sie wäre das hohe Fertigungsniveau der Intec GmbH nicht möglich. Die Werkstatt versteht sich nicht als verlängerte Werkbank anderer Unternehmen, sondern als Electronic-Spezialist, der Industriekunden passgenaue Lösungen bietet, vor allem Steuerungstechnik für Ampel- und Klimaanlagen, im Automotiv-, Medizin- oder Messbereich. Das geht nur mit Spezialisten. Sicher hat der enge Kontakt zu Nixdorf eine solche Professionalität von Beginn an begünstigt und das Selbstverständnis des Betriebs geprägt. Die Beschäftigung von Zusatzpersonal kann aber auch für andere Werkstätten ein Ausweg aus der Schere zwischen den erhöhten Anforderungen der Produktion und dem Verlust von „Leistungsträgern“ werden. Den Integrationsfirmen schreiben die Integrationsämter nicht ohne Grund einen Personalanteil von 50% ohne Behindertenstatus vor.

4. Dienstleistungsprojekte als „Leuchttürme“ in der Region
Wie eine Werkstatt in relativ kurzer Zeit ihr Image in einer Region verändern kann, zeigt das Beispiel der Duisburger Werkstatt. Früher eher eine graue Maus und in der Stadt kaum wahrgenommen, macht sie seit einiger Zeit mit ungewöhnlichen Projekten auf sich aufmerksam. Mit Ars Vivendi gründete sie einen Werkstattladen, der Werkstattprodukte als edle Designer-Ware vermarktet und sich an eine finanzkräftige Käuferschicht wendet, die das Besondere sucht. Mit den Café/Restaurants „Der kleine Prinz“ und „Ziegenpeter im Rheinpark“, jeweils hochwertig ausgestattet und in guter Lage, setzte sie weitere Zeichen in der Duisburger Öffentlichkeit. Die Folge ist ein starker Imagegewinn und neuer Schwung für die WfbM, etwa bei der Entwicklung frischer Produktlinien in der Tischlerei.

Einen ähnlichen Weg beschritten die Werraland-Werkstätten in Eschwege mit der Übernahme und dem Ausbau eines Hotels, das in der Region als Ausflugs- und Veranstaltungsgastronomie punktet sowie mit der Gründung der Europaakademie, die in der bundes- und europaweiten Werkstattszene große Beachtung findet.

Leuchtturmprojekte kosten Kraft und eine hohe Anschubfinanzierung, aber die Mühe lohnt, weil sie Begegnung ermöglichen und der negativen Erwartungshaltung gegenüber Werkstätten und ihrer Leistungsfähigkeit entgegenwirken.

5. Stadtteilvernetzung und Öffnung der Werkstatt
Ergänzt werden muss die Neuorientierung durch regionale Kontakte jeder Art. Die Werkstatt muss in Stadtteilgremien, Initiativen und Bürgerausschüssen vertreten sein und dort ihr Know-how und ihre Möglichkeiten einbringen, sich an Straßenfesten und Ausstellungen beteiligen, die eigenen Räume öffnen und Beziehungspflege zu Firmen, Behörden und anderen Akteuren der Region betreiben. Eine aktive Öffentlichkeitsarbeit sollte diesen Prozess unterstützen. Eine Grundhaltung von Offenheit und Kommunikation, die von allen Beschäftigten getragen wird, ermöglicht Vermittlungen und eröffnet Chancen für Dienstleistungen und Aufträge. Sie verankert die Werkstatt in der Mitte der Gesellschaft und verbessert das Bild von behinderten Menschen.

Von Dieter Basener

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