Januar 2015

Newsletter EUROPA-Akademie

Fortbildungsinstitut für Teilhabe und Inklusion


WER WILL, DER KANN!
Berufliche Integration durch ifs Spagat



Begleitung, Unterstützung und Vermittlung. Seit vielen Jahren verfolgt das Angebot ifs Spagat des Institut für Sozialdienste (ifs) Vorarlberg das Ziel der beruflichen Integration von Menschen mit schweren Handicaps, die sich auf einem Arbeitsplatz in der freien Wirtschaft behaupten möchten. Dabei spielen die Grundsätze „Empowerment“ (Selbstermächtigung) und „Supported Employment“ (unterstützte Beschäftigung) eine wichtige Rolle.

Wie erfolgreich dieses Projekt ist, belegen die Zahlen: Ca. 250 Spagat-TeilnehmerInnen werden derzeit aktiv begleitet und über 300 Vorarlberger Betriebe aus unterschiedlichsten Branchen stellen bereits integrative Arbeitsplätze zur Verfügung.

Viele Menschen mit Behinderungen äußern den Wunsch nach einem „Leben wie andere auch“ – und dazu zählt ein geregeltes Arbeitsleben. Auf der Suche nach einem geeigneten Arbeitsplatz orientiert sich ifs Spagat an den individuellen Bedürfnissen und Vorstellungen des jeweiligen Spagatteilnehmers bzw. der jeweiligen Spagatteilnehmerin. Wünsche und Entscheidungen werden ernst genommen und respektiert. Die SpagatteilnehmerInnen dürfen und müssen Verantwortung für sich selbst übernehmen und werden somit zu einer selbstbestimmten Lebensgestaltung geleitet. Der Prozess selbst, der im Rahmen von ifs Spagat durchlaufen wird, setzt sich aus klar definierten Bausteinen zusammen.

Persönliche Zukunftsplanung
Ausgangspunkt der Persönlichen Zukunftsplanung sind die Träume und Wünsche des Teilnehmers / der Teilnehmerin, denn in diesen steckt das größte Potential. Von besonderer Wichtigkeit ist es, die Träume in dieser Phase nicht in Frage zu stellen, denn oft verbirgt sich in bzw. hinter diesen ein Berufswunsch, der durchaus Realität werden kann. Es wird ein klares Ziel definiert und der Zukunft aktiv entgegengegangen.

Unterstützungskreis
Ein individueller Unterstützungskreis begleitet den Menschen mit Handicap auf seinem Weg in die Arbeitswelt. Der / die TeilnehmerIn bestimmt, wer dem Unterstützungskreis angehört. In der Regel sind dies Menschen aus dem nahen Umfeld – Eltern, Verwandte, Freunde und Nachbarn. Gemeinsam werden in diesem Kreise die weiteren Schritte geplant, mögliche Arbeitsfelder und notwendige Rahmenbedingungen definiert sowie Erstkontakte zu möglichen Schnupperplätzen geknüpft.

Begleitetes Schnuppern
In der Regel ergeben sich aus den Ideen und Überlegungen des Unterstützungskreises fünf bis acht Möglichkeiten, in verschiedenen Betrieben „Arbeitsluft schnuppern“ zu dürfen. Nun startet – mit Unterstützung der Spagat-MitarbeiterInnen – das Abenteuer Arbeit. Das Schnuppern ist eine aussagekräftige Phase – sowohl für die Hauptperson wie auch für den/die IntegrationsberaterIn. „Erspüren und Erleben“ statt „möglich oder nicht möglich“ – ein Ausschlussverfahren und die Entdeckung der Möglichkeiten zugleich. Potentielle ArbeitsgeberInnen als auch die Hauptperson brauchen besonders in der Anfangszeit die Unterstützung und das Fachwissen der IntegrationsberaterInnen. Annäherung und Kennenlernen stehen hier im Vordergrund.

Individuelle Gestaltung des Arbeitsplatzes
Verlaufen die Schnuppertage erfolgreich, so entsteht ein „integrativer Arbeitsplatz“. Die Tätigkeiten sowie das Ausmaß der Arbeitszeit werden den individuellen Möglichkeiten angepasst. Und die Person mit Behinderung ist ArbeitnehmerIn wie jede/r andere MitarbeiterIn auch.

Mentorenprinzip
Für jede(n) Spagat-TeilnehmerIn wird eine innerbetriebliche Ansprechperson gesucht. Der/die sogenannte MentorIn stehen der Person mit Handicap im Arbeitsalltag zur Seite und unterstützt bei auftretenden Herausforderungen, wenn sich die Spagat-MitarbeiterInnen aus den Betrieben zurückziehen.

Erfolgreiche Integration
Ifs Spagat kann große Erfolge verzeichnen. Mehr als 300 Menschen mit Handicaps wurden in den vergangenen Jahren erfolgreich in den ersten Arbeitsmarkt integriert. Rund 300 Betriebe aus ganz Vorarlberg stellen integrative Arbeitsplätze zur Verfügung und ermöglichen Menschen mit Behinderungen somit die Teilhabe am „normalen Leben“.

Finanzielle Förderungen
Betriebe, die einen integrativen Arbeitsplatz zur Verfügung stellen, erhalten eine finanzielle Förderung durch die Vorarlberger Landesregierung. Diese beinhaltet zum einen den Lohnkostenzuschuss für den/die neue/n MitarbeiterIn. Die Höhe richtet sich dabei an der Leitungsfähigkeit der Hauptperson. Die Einschätzung erfolgt durch eine/einen GutachterIn. Zum anderen erhält der Betrieb eine finanzielle Förderung im Rahmen eines MentorInnenzuschusses. Dieser wird nach Unterstützungsaufwand des Mentors bemessen. Die Förderungen in Form des Lohnkosten- und MentorInnenzuschusses für den Betrieb, als auch die Finanzierung der Assistenz-Stunden der Spagat-Berater-innen werden in regelmäßigen Abständen neu bewilligt.

Regelmäßige Betriebskontakte, Kontakte zum Umfeld und vor allem zum/zur Spagat-TeilnehmerIn selbst sind Grundlagen einer guten Zusammenarbeit mit allen Beteiligten.

Film über ifs Spagat
In Zusammenarbeit mit dem internationalen Filmemacher, Regisseur und Cutter Paul Sedlacek entstand 2010 ein Film über ifs Spagat. Der Film soll die Kraft und Möglichkeiten, die durch die Zusammenarbeit mit Menschen entstehen können, sichtbar machen. Anhand von Beispielen gelungener Integration und von verschiedenen Interviews werden Methoden, Abläufe und ideelle Haltungen rundum ifs Spagat gezeigt. Der Film ist über ifs Spagat erhältlich. (Email: ifs@ifs.at)

Maria, die Friseurin

Bei einem Gespräch wurde Maria von ihrer Integrationsberaterin gefragt, was sie denn für einen Berufstraum habe. „Ich will Friseurin werden … Haare waschen, schneiden, föhnen.“ Ihre Mutter ergänzte, dass sie diesen Wunsch schon seit sehr langer Zeit äußere, vor allem seit sie mit der Friseurin des Dorfes bekannt sei – bei aller Liebe sei das doch unmöglich, denn wer würde sich schon von Maria die Haare schneiden lassen?! Wovon sie denn noch träume, wollte die Integrationsberaterin wissen. Sie sagte, sie würde auch gerne Sängerin werden. Es wurde vorab dabei belassen, denn es war ein Informationsgespräch und die Integrationsberaterin erklärte der Familie die Arbeitsweise und Rahmenbedingungen von ifs Spagat.

Später, als die Integrationsberaterin mit dem Mädchen die Zukunftsplanung begann, fand sie des weiteren heraus, dass Maria Kontakt zu Menschen sucht, gern im Mittelpunkt steht und sehr höfliche Umgangsformen beherrscht.

Im Unterstützungskreis wurden nach verschiedenen Möglichkeiten rund um Schnupperbetriebe im Dorf und in der nahen Umgebung gesucht. Nachdem einige Schnuppererfahrungen gemacht wurden, war plötzlich folgendes klar geworden: Die junge Frau dachte, dass alle Menschen, die irgendwie im Mittelpunkt und in der Öffentlichkeit standen, schön seien und von allen bewundert würden; vor allem aber Friseurinnen, denn Friseurinnen haben in Marias Augen stets schöne Frisuren, gefärbte Haare und modische Kleidung. Somit wurde immer deutlicher, dass Maria sich also auch mit ihrem Aussehen, mit ihrem Körper beschäftigen würde. Dieses Thema wurde dann von verschiedensten Seiten angegangen: in der Schule, zuhause, in der persönlichen Zukunftsplanung. Zudem ermöglichten erneute Schnuppererfahrungen in verschiedenen Branchen, auch neue Dinge und Tätigkeiten auszuprobieren. Sie schnupperte längere Zeit in einer Spielgruppe und in einem Altersheim. Doch das Zusammensein mit Kindern und alten Menschen wirkte sich ungünstig auf ihre damalige Entwicklungsphase aus, denn Thema war jetzt ganz klar die Orientierung an Erwachsenen, an Frauen.

Nach all diesen Erfahrungen wurde das Augenmerk nun doch auf ihre ersten Berufsgedanken gelenkt und es wurde im nahe liegenden Friseurgeschäft ein Arbeitsplatz gefunden. Im Vordergrund stand dabei aber nicht ihre eigentliche Wunschtätigkeit „Haare schneiden“. Denn hier ist nur ihre Mutter sehr mutig und lässt Maria gelegentlich unter Aufsicht der Friseurin einen Schnitt tun. Die Tätigkeiten, die sie im Friseurgeschäft verrichtet, könnte sie theoretisch in einem anderen Betrieb genauso verrichten. Vielmehr ging es um das Mitdabeisein in genau diesem Geschäft mit diesen Mitarbeiterinnen und vor allem um ihre ständig wechselnden modernen Frisuren. Auf ihre Haare mit farbigen Strähnchen, fetzigen Schnitten und modernen Stilrichtungen ist Maria bis heute sehr stolz. Der Umgang mit Menschen liegt ihr, sie plaudert gerne, serviert Kaffee, faltet Handtücher, kehrt Haare zusammen, erledigt Botengänge und wird dabei wegen ihrer wechselnden Frisuren überall angesprochen. Sie wird als Maria gesehen und hat ihren Platz in ihrer momentanen Lebenslage gefunden.

Aaron, der Metallarbeiter
Das Einbeziehen von Eltern, die nicht mehr im gemeinsamen Haushalt leben, kann für Spagat-TeilnehmerInnen bedeutend sein. Diese fühlen sich oft mitverantwortlich für die Situation und brauchen von den leiblichen Eltern das emotionale Einverständnis, den „Segen“ dafür, was sie in Zukunft planen. Aaron wollte wie sein Vater Metallarbeiter werden. Das Bild von Arbeit war von seinem Vater geprägt, obwohl sie schon jahrelang nicht mehr zusammen lebten. Im Unterstützungskreis wurden verschiedene Schnuppermöglichkeiten gefunden, wobei der spätere Arbeitsplatz bei einer Firma in der Metallbranche vom Integrationsberater akquiriert wurde, was für die verdeckte Konkurrenzsituation der beiden Väter entlastend war. Die Mutter von Aaron meinte dazu: „Der Unterstützungskreis ist nicht nur für Aaron wichtig und für die berufliche Integration, sondern auch für uns Eltern. Wir haben ja vielfach Angst, andere um Hilfe zu fragen. Daher war ich vom Unterstützungskreis ziemlich überrascht wie viel Unterstützung man bekommt. Wir haben uns mit Freunden, Bekannten und Familienmitgliedern zusammengesetzt und was da für unterschiedliche Ansichten und Neues raus gekommen ist, war ungemein schön. Es gab kein Tabuthema, jeder sieht Aaron anders, man bekommt ein anderes Bild vom eigenen Kind, sieht es plötzlich anders, das ist ganz wichtig.“ Heute ist für Aaron der Mentor im Betrieb sehr wichtig – dieser ist erste Ansprechperson für Aaron, wenn irgendwo irgendwas wiedermal nicht so läuft, wie Aaron sich das vorstellt.

Maria und Aaron sind nicht die einzigen, die gezeigt haben, dass es für die berufliche Integration viel mehr als einen geeigneten Arbeitsplatz braucht. An erster Stelle steht die Auseinandersetzung mit der eigenen Person, mit längst gefertigten Bildern und Vorstellungen vom eigenen Leben. Hinzu kommt, passende Unterstützung aus dem Umfeld zu haben und auf die „richtigen“ Personen im betrieblichen Umfeld zu stoßen. Dadurch kann ein beruflicher Glückstreffer erzielt werden.

Theorie und Praxis ... Wer will, der kann!
Durch die Zusammenarbeit aller schaffte ifs Spagat einen Rahmen, die integrativen Prozesse in Vorarlberg auch nach der Schule fortzuführen und zu erproben, wie und unter welchen Bedingungen eine Eingliederung von Menschen auch mit schweren Behinderungen in den allgemeinen Arbeitsmarkt stattfinden kann. Dass dies möglich ist, wird in Fachkreisen längst nicht mehr in Frage gestellt. Theoretisch sind die Konzepte überzeugend, auch gibt es immer wieder ermutigende Beispiele gelungener Integration von Menschen mit schwerer Behinderung. Dennoch ist die Umsetzung der Theorie in die Praxis eine große Herausforderung. Das können die IntegrationsberaterInnen von ifs Spagat, das Umfeld der Spagat-TeilnehmerInnen und auch diese selbst jederzeit bestätigen und täglich hautnah erleben. Ifs Spagat ermöglicht somit ein LEBEN WIE ANDERE AUCH.

ifs Assistenz
Kirchgasse 4b
6850 Dornbirn

Tel.: 0043 5 1755 530
Fax: 0043 5 1755 9530
www.ifs.at
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