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Fortbildungsinstitut für Teilhabe und Inklusion


Änderungsbedarf in Werkstätten für behinderte Menschen – 12 Vorschläge
Vorschlag 11: Finanzierung des individuellen Unterstützungsbedarfs zur beruflichen Teilhabe
Von Dieter Basener



Werkstätten für behinderte Menschen wurden im Jahr 1974 im Schwerbehindertenrecht verankert und sind damit über 40 Jahre alt. Seit ihrer Gründung haben sich viele Planungsgrößen, Leitvorstellungen und Zielsetzungen verändert.
Einige Beispiele:
• Die Zahl der Werkstattplätze ist fünfmal so hoch wie ursprünglich geplant.
• Seit der Einführung des SGB IX ersetzen Autonomie und Selbstbestimmung das pädagogische Leitbild der Fürsorge.
• Die UN-Behindertenrechtskonvention gibt Inklusion als gesellschaftliches Ziel vor, Sondereinrichtungen stehen auf dem Prüfstand.

Es ist Zeit, die Werkstattgesetzgebung einer kritischen Betrachtung zu unterziehen. Welche Regelungen haben sich überlebt? Welche Hilfen können heute eine berufliche Teilhabe ermöglichen, wie soll sie aussehen und welche Rolle sollen die Werkstätten dabei spielen? Diese Beitragsreihe benennt Probleme und Fehlentwicklungen und macht Vorschläge für die geplante Gesetzesnovellierung.

Folge 11 befasst sich mit der Finanzierung der Leistung „Teilhabe am Arbeitsleben“ und schlägt einen Systemwechsel vor, der auch die Werkstattfinanzierung auf neue Füße stellt

Paul S. besteht darauf, nicht geistig behindert zu sein. „Ich konnte nicht so gut lernen“, sagt er, „und hab deshalb eine Förderschule besucht.“ Es war eine Schule für „Schüler mit ausgewiesenem sonderpädagogischen Förderbedarf“ wie es heute heißt. Vorher hieß sie „Sonderschule für Lernbehinderte“. Paul S. machte eine Tischlerausbildung im Berufsbildungswerk, fand aber keine Anstellung und stimmte nach längerem Zögern dem Vorschlag seines Reha-Beraters zu, in der Tischlerei der Elbe-Werkstätten in Hamburg-Altona zu arbeiten. Dort gehört er heute, sechs Jahre später, zu den Leistungsträgern. Seine Arbeit ist ihm wichtig, er lebt im „Betreuten Wohnen“, hat Freunde in der Werkstatt gefunden, mit denen er auch privat viel unternimmt. Bei neuen Kontakten fürchtet er sich allerdings vor der üblichen Frage nach seinem Beruf und zieht sich mit einem unverbindlichen „Ich arbeite mit Holz“ aus der Affäre.

Wie gehen Werkstätten mit dem Thema Lernbehinderte um?
Lernbehinderte dürfte es in den Werkstätten eigentlich gar nicht geben. Sie stehen nach Auffassung des Gesetzgebers dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Und so werden sie gerne der geistigen Behinderung oder zumindest dem „Grenzbereich“ zu dieser Personengruppe zugeschlagen. In der Statistik auf der Website der BAG WfbM kommen Lernbehinderte nicht vor. Die letzten verfügbaren Angaben von 2012 führen drei Kategorien von Werkstattbeschäftigten auf: Menschen mit geistiger Behinderung haben demnach einen Anteil von 77,49 %, Personen mit einer psychischen Behinderung von 19,18 % und Körperbehinderte von 3,33 %. Legt man dieses Verhältnis zu Grunde, so hat sich die 1974 prognostizierte Anzahl der geistig behinderten Menschen in der Werkstatt von 60.000 auf knapp 240.000 erhöht. Einigungsbereinigt sind es ca. 180.000 Personen, das wäre eine Verdreifachung.

Warum geht das Werkstattwachstum trotz anderslautenden Prognosen weiter?
Auf diese Frage gibt das Beispiel Paul S. eine Antwort. Die Werkstatt wächst im Bereich von Personen, für die sie ursprünglich nicht gedacht war: Menschen mit Lernbehinderungen, psychischen Beeinträchtigungen und sogenannten „Doppeldiagnosen“. Der Sogeffekt in die Werkstatt ist gewaltig: In Sachsen-Anhalt liegt der Anteil der WfbM-Beschäftigten an der Bevölkerung – bezogen auf die 18- bis 65-jährigen – schon bei fast einem Prozent.

Fachleute überrascht das nicht: Zu unterschiedlich sind die staatlichen Zuschüssen und sonstigen Leistungen für „Erwerbsunfähige aufgrund der besonderen Schwere der Behinderung“ und „noch erwerbsfähige Behinderte“. Die Werkstattzugehörigkeit bietet eine Garantie auf lebenslange Arbeit, der Lebensunterhalt ist über Quersubventionen abgesichert, nach zwanzig Jahren gibt es ein Anrecht auf eine nicht unerhebliche EU-Rente mit der Möglichkeit, weiter arbeiten zu können. Ein geregelter Tagesablauf, das Gefühl gebraucht zu werden und einer sinnvollen Tätigkeit nachzugehen, die sozialen Kontakte, alle das macht die Werkstatt attraktiv. Werkstattberechtigte sind gegenüber denjenigen, die als Schwerbehinderte dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen und allzu häufig arbeitslos sind, massiv im Vorteil.

Wie finden die Lernbehinderten den Weg in die Werkstatt?
Zwar sträuben sich viele Menschen mit Lernbehinderung, wie Paul S., mit einer psychischen Erkrankung oder einer schweren körperlichen Beeinträchtigung, in die als stigmatisierend empfundene Werkstatt aufgenommen zu werden. Auf Dauer wird ein Teil von ihnen aber doch von ihrem Umfeld, ihren Beratern oder Therapeuten überzeugt, den Schritt zu gehen. Ich kann das aus eigener Anschauung sagen, weil ich selber als Werkstattpsychologe viele Jahre an solchen Aufnahmen mitgewirkt habe. Die Lernbehinderung wird in den „Grenzbereich zur geistigen Behinderung“ verlagert, psychischen Auffälligkeiten, meist bedingt durch die frustrierenden Hängepartie am Arbeitsmarkt, werden als Zusatzdiagnose angeführt, die berufliche Prognose ist ohnehin schlecht und so wird die Aufnahme in die Werkstatt zum rettenden Ufer.

Welche Konsequenzen hat die Werkstattaufnahme für die Betroffenen?
Meist bestätigt der weitere Verlauf auf den ersten Blick die Entscheidung: Menschen wie Paul S., die vorher ohne Perspektive waren, finden eine Aufgabe, die Arbeit stabilisiert ihre angeschlagene Psyche, sie genießen Anerkennung und stehen in der Werkstatthierarchie weit oben. Aber auch der befürchtete Stigmaeffekt wirkt sich aus: Ehemalige Freunde ziehen sich zurück, Nachbarn begegnen ihnen mit einer herablassenden und distanzierenden Freundlichkeit, neue Bekannte machen dicht, sobald sie von der Tätigkeit in der Werkstatt erfahren. Damit wird das Werkstattumfeld immer mehr zum sozialen Bezugsrahmen, ein geschlossener Kreis, eine Parallelwelt, gut ausgestattet und nahezu sorgenfrei, aber (fast) ohne Ausweg. Aus der wohlmeinenden Hilfe, der hohen finanziellen Unterstützung und Besserstellung gegenüber den „vermittlungsfähigen“ Behinderten ist eine Sackgasse geworden, mit der sie sich arrangieren müssen. Paul S. führt nicht das Leben eines eigenverantwortlichen Bürgers, sondern das eines Werkstattbetreuten ohne Arbeitnehmerstatus und gesetzlichen Mindestlohn. Er erhält pädagogische Unterstützung, seine Selbstbestimmungs- und Entfaltungsmöglichkeiten sind eingeschränkt.

Wie lösen Werkstattbeschäftigte den Widerspruch zwischen sorgenfreiem Leben und Stigmaerfahrung?
Das Werkstattpersonal, insbesondere die Gruppenleiter und der soziale Dienst spüren das Dilemma, wenngleich sie es selten offen diskutieren und meist auch wenig reflektieren. Sie helfen den Beschäftigten, mit dem Widerspruch fertig zu werden, indem sie sie in ihrer Entscheidung bestärken, die Vorteile der Werkstatt herausstellen, die Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt betonen und die Ursache für die Aufnahme in die WfbM subtil in der Person verankern. Die Akzeptanz der Ausgrenzung gelingt am leichtesten, wenn die Person die Gründe in sich selber sieht und niemand anderen „haftbar machen“ kann. „Niemand ist ohne Grund hier“, lautet ein Werkstattbonmot, das auch die Beschäftigten verinnerlichen. Gemeint ist, dass auch diejenigen, die nach außen unbeeinträchtigt wirken, eine unsichtbare Schwäche mit sich tragen, ein tiefgreifender Mangel, der die Person unfähig macht, anderswo zu bestehen. Meist wird nicht ernsthaft überprüft, ob das wirklich so ist oder ob dieser Glaubenssatz nur die Akteure darin bestätigt, alles richtig zu machen.

Muss „berufliche Teilhabe“ als Ausgrenzung angelegt sein? Und muss diese Ausgrenzung zwangsläufig immer weitere Kreise der Bevölkerung umfassen?
Die Antwort auf die Fragen lautet: Nein. Der Effekt ist nicht unabwendbar, er ist hausgemacht und er muss auch nicht zwangsläufig immer weiter ausufern. Wesentlich verursacht ist er durch das Alles-oder Nichts-Prinzip der Hilfe: Entweder ist nach gängiger Logik jemand wesentlich behindert und kann deshalb nicht im Arbeitsmarkt tätig sein oder er ist es nicht. Wesentlich Behinderten steht – gesetzlich garantiert – ein Platz in der Werkstatt zur Verfügung. Nach dem Prinzip der Einheitlichkeit der Werkstatt muss die Unterstützung dort für alle die gleiche sein. Behinderte Menschen, die als vermittlungsfähig gelten, müssen dagegen, unterstützt durch finanzielle Anschub- und Ausgleichszahlungen, auf dem freien Arbeitsmarkt konkurrieren und sind, wenn sie Arbeit findet, weiterhin vom Arbeitsplatzverlust bedroht. Statt Hilfe und Unterstützung individuell zuzuschneiden, verlangt das System, die Hilfeempfänger einer der beiden Gruppen zuzuweisen. Das Beispiel Paul S. zeigt: Beide Varianten passen nicht zu ihm. In der ersten bekommt er zu viel an Unterstützung, in der zweiten zu wenig.

Warum hat der Gesetzgeber das Hilfesystem so konstruiert und waren die Mängel des Systems für seine Planer nicht vorhersehbar?
Die am Gesetzgebungsverfahren zum Werkstättenrecht Beteiligten haben sich bewusst für die Besserstellung der Werkstattbeschäftigten entschieden und auch das Kriterium der einheitlichen Werkstatt erschien aus damaliger Sicht sinnvoll. Sie gingen von einer homogenen und sehr hilfebedürftigen Zielgruppe aus: Menschen mit starken intellektuellen Einschränkungen, die keine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben würden, dazu wenige sehr stark eingeschränkte Körperbehinderte. Zwei Entwicklungen waren für sie zum damaligen Zeitpunkt wohl noch nicht vorstellbar. Die erste: Die extensive Auslegung der Begriffs „Werkstattbedürftigkeit“ setzte schon früh ein und die Beschäftigtenstruktur entwickelte sich schon nach wenigen Jahren sehr heterogen. Als sich dies abzeichnete, hätte man bereits gegensteuern und die finanzielle und inhaltliche Unterstützung differenzieren müssen. Die zweite Entwicklung war der Paradigmenwechsel in der Behindertenhilfe im SGB IX, der Behinderung wurde nicht mehr nur an der Funktionsbeeinträchtigung einer Person festmachte, sondern auch an den „behindernden“ Umfeldbedingungen. Außerdem sagte das Gesetz den Hilfeempfängern für die Ausgestaltung ihrer Hilfe ein Wunsch- und Wahlrecht zu. Und auch eine dritte Entwicklung wollten oder konnten die Planer in den späten 60er und frühen 70er Jahren nicht vorhersehen: Die Tatsache, dass intellektuell beeinträchtigte Menschen mit geeigneten personellen und finanziellen Hilfen sehr wohl im ersten Arbeitsmarkt tätig sein können, wofür es mittlerweile vielfältige Beispiele gibt.

Wie reagiert der Gesetzgeber auf das ungebremste Wachstum der Werkstätten?
Ein Systemwechsel in der beruflichen Teilhabe ist bisher nicht erkennbar. Nach wie vor sehen Gesetzgeber und die Kostenträger das entscheidende Hindernis für eine Vermittlung von „Werkstattberechtigten“ in deren Person: Das Hilfekriterium bleibt ihre „wesentlichen Behinderung“. Nicht die mangelnden Hilfen, die fehlende Bereitschaft oder auch nur die geringe Aufklärung der Arbeitgeber sind das Problem, sondern die angebliche „nicht Erwerbsfähigkeit“ einer Person. Eine grundlegende Reform des Werkstättenrechts ist auch bei der anstehenden Novellierung der Eingliederungshilfe nicht in Sicht. Dabei liegen die Schwächen des dualen Hilfesystems für jeden, der es unvoreingenommen betrachtet, auf der Hand: Die Werkstatt wird zum Reparaturbetrieb des Arbeitsmarktes, ihr Stigmatisierungseffekt wird unter den Tisch gekehrt, der finanzielle Aufwand steigt beständig, ohne dass man den Hilfeempfängern wirklich gerecht wird. Wenn die Werkstätten in ganzen Regionen, wie in Sachsen-Anhalt, die größten und verlässlichsten Arbeitgeber sind, dann ist das System das System endgültig aus den Fugen geraten.

Wie könnte eine Lösung aussehen?
Die Lösung für die Misere ist einfach, die Vorschläge sind nicht sonderlich neu, wenngleich aufgrund der verhärteten Strukturen nicht leicht durchzusetzen: Die Hilfeleistung für „Menschen mit wesentlichen Behinderungen“ darf nicht länger ausschließlich an die Institution Werkstatt gebunden sein und das Maß der Unterstützung muss sich in der Art und in der Höhe der Person und ihrem Bedarf anpassen. Braucht also jemand eine Anleitung bzw. Assistenz bei der Arbeit, so kann er sie – individuell zugeschnitten – in der Werkstatt oder auf dem Arbeitsmarkt in Anspruch nehmen, der damit verbundene Geldbetrag darf sich nicht unterscheiden. Er kann allenfalls im Verlauf des Arbeitslebens variieren. Ein wenig von dieser Personenanpassung ist bereits in das Metzlerverfahren und in die geringfügige Staffelung von Kostensätzen eingeflossen, aber sie waren bei Weitem nicht entschieden genug und die Hilfe nicht auf andere Formen der Teilhabe übertragbar. Um dies zu gewährleisten, muss der Grundpfeiler des Systems fallen: Die Alles-oder Nichts-Grenze der Hilfegewährung, die „Erwerbsunfähigkeit aufgrund der wesentlichen Behinderung“. Sie bedient das Eindeutigkeitsbedürfnis von Juristen und Verwaltung, ist aber in Wirklichkeit fiktiv und in der Anwendung äußerst dehnbar.

Ist die „Erwerbsunfähigkeit aufgrund einer wesentlichen Behinderung“ mit der UN-Behindertenrechtskonvention vereinbar? Einer gerichtlichen Normenprüfung dürfte dieses Leistungskriterium nicht standhalten, weil es mit der UN-Behindertenrechtskonvention kollidiert. Diese schreibt die Öffnung aller gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeiten vor und verbietet einen Ausschluss. Der Erwerbsunfähigkeitsbegriff suggeriert, dass für „Menschen mit wesentlichen Behinderungen“ berufliche Teilhabe im Arbeitsmarkt nicht erreichbar ist, in Wirklichkeit schließt er sie aber durch die auf Exklusion angelegte Gewährung der Hilfen aus. Zudem entlastet er die Arbeitgeber von ihrer grundsätzlichen Verpflichtung, auch diesen Personenkreis zu beschäftigen.

Welche Konsequenzen hat der Wegfall des Kriteriums „Erwerbsunfähigkeit“ und die Individualisierung der Hilfen für Menschen mit Behinderung, für die Institution Werkstatt und für die Verwaltung?
Für Menschen mit Behinderung wird die Unterstützung endlich abstufbar und bedarfsbezogen, und dies auf beiden Seiten der bisherigen Erwerbsfähigkeitsgrenze. „Erwerbsunfähig“ zu sein bedeutet bisher, dass die Werkstatt die einzige Möglichkeit zur beruflichen Teilhabe ist und die ist zum Teil durch ein Übermaß an Hilfen geprägt. Ob und wieviel pädagogische und therapeutische Unterstützung jemand braucht, wieviel Anleitung, wieviel technische Hilfe, all das wird bisher nicht oder kaum differenziert. Für die „Erwerbsfähigen“ ist die Hilfe dagegen bisher eher mangelhaft. Vor allem die personelle Unterstützung bei der Arbeitssuche, Arbeitsaufnahme und Einarbeitung kommt zu kurz. Dabei hat sich das Instrument der „Unterstützten Beschäftigung“ gerade für diesen Personenkreis als sehr wirksam erwiesen. Die Neuregelung des Hilfesystems mit personenbezogenen Hilfebudgets könnte also auch zu einem Abbau der nach wie vor erschreckend hohen Arbeitslosenquote für diesen Personenkreis führen. Für Werkstätten bedeutete eine solche Systemumstellung einen tiefen Einschnitt. Aus Kostensätzen würden sie bei der jetzigen Beschäftigtenstruktur wohl deutlich weniger Einnahmen erzielen. Möglich wäre, einen Teil des Einnahmeverlustes durch direkte Zahlungen für den Betrieb einer WfbM zu kompensieren, verbunden allerdings mit Platzzahlbegrenzungen. Im pädagogisch-therapeutischen Bereich ließen sich Einsparungen realisieren. Die wirtschaftliche Tätigkeit der Werkstätten könnte mit leistungsstarkem Personal stabilisiert werden, der Maßarbeitsgedanke der BAG WfbM bekäme eine neue Bedeutung. Gleichzeitig haben Werkstätten weiterhin den Auftrag und, für Menschen mit hohem Assistenzbedarf Angebote bereitzustellen und können darüber erhebliche Einnahmen erzielen. Die jeweilige Ausrichtung der Werkstatt auf ein Leistungsniveau bzw. einen Angebotsmix wäre ihr überlassen. Es wäre die Aufgabe der Verwaltung, die Gesamtversorgung sicherzustellen. Dabei könnten auch neue Anbieter an den Markt gehen. Langfristig würde das neue Hilfesystem zu einem deutlichen Abschmelzen klassischer Werkstattplätze führen, das teilstationäre Angebot würde immer mehr in ein ambulantes überführt. Das Know-how des Personals würde aber in den ambulanten Strukturen weiter benötigt. Für die Leistungsträger und die Verwaltung bedeutete das System einen Mehraufwand, weil der individuelle Unterstützungsbedarf für alle Menschen mit Behinderung erhoben und festgelegt, die Auszahlung der Gelder und ihre sachgemäße Verwendung sichergestellt und im Verlauf des Erwerbslebens ggf. mehrfach Neubewertungen vorgenommen werden müssten. Unter dem Strich ließe sich so aber das bisher ungebremste Wachstum der Werkstätten eindämmen und die bedarfsgenaue Verwendung der Gelder sichern.

Was hätte Paul S. von einer Systemänderung?
Für Paul S. ergäben sich aus einer solchen Neuregelung neue berufliche Perspektiven. Die Werkstatt würde versuchen, ihre leistungsstarken Mitarbeiter mit verbesserter Entlohnung zu binden. Für ihn würde damit zumindest das Lohnniveau des Mindestlohnes realistisch. Die Arbeitsanforderungen in seiner Tischlerei würden allerdings steigen. Gesellschaftlich würde die Werkstatt und damit auch er an Ansehen gewinnen. Paul S. hätte aber auch die Möglichkeit, mit seinem individuellen Hilfebudget eine Tätigkeit auf dem Arbeitsmarkt aufzunehmen, und den Geldbetrag in personelle Unterstützung und Lohnkostensubvention umzuwandeln. Die Entscheidung läge, wohl das erste Mal in seinem Leben, bei ihm.

Zusammenfassung
Die Grenze zwischen Erwerbsfähigkeit und Nichterwerbsfähigkeit aufgrund der besonderen Schwere der Behinderung ist fiktiv und nach der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention wohl auch nicht mehr gesetzeskonform. An die Stelle der festen Kostensätze der WfbM muss eine Individualisierung der Hilfe treten, die die Art und Höhe der Unterstützung regelt und an die Person, nicht an die Institution geknüpft ist. Für Menschen mit Behinderung ergäben sich daraus endlich die im SGB IX verbrieften Wahlmöglichkeiten. Werkstätten müssten sich neu ausrichten, ihr Bestand wäre aber nicht gefährdet. Für das Werkstattpersonal gäbe es in der ambulanten Hilfestruktur neue Betätigungsfelder. Die Verwaltung hätte einen Mehraufwand zu bewältigen, würde durch die bedarfsbezogenen Hilfen aber deutlich Kosten sparen.

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