Strategische Neuausrichtung: Die Werkstatt als Dienstleister und Problemlöser für das Gemeinwesen



Strategische Neuausrichtung: Die Werkstatt als Dienstleister und Problemlöser für das Gemeinwesen Das Bundesteilhabegesetz eröffnet der beruflichen Teilhabe von Menschen mit Behinderungen neue Möglichkeiten: Werkstätten erhalten zum einen Konkurrenz durch neue Wettbewerber, die „anderen Leistungsanbieter“. Zum andern können die Mittel, die bisher der Werkstattbetreuung vorbehalten waren, nun auch für eine Tätigkeit in einem Betrieb genutzt werden. Dort dienen sie der Lohnkostensubvention für eine Entlohnung auf Tarifniveau und ermöglichen eine Arbeitsbegleitung durch einen Fachdienst. Man wird sehen, was diese Neuerungen in den kommenden Jahren bewirken. Aber schon jetzt ist klar: Der große Durchbruch zu einem zeitgemäßen System beruflicher Teilhabe war diese Reform noch nicht. Eine weitere Stufe steht aus, auch wenn sie sich auf politischer Ebene zurzeit bei allem Unwohlsein über den Status quo (noch) nicht abzeichnet.

Auf dem Prüfstand steht in diesem Zusammenhang unter anderem die wirtschaftliche Ausrichtung der geschützten Arbeitsverhältnisse. Sollen Werkstätten (und Integrationsbetriebe) weiterhin vor allem als Zuliefer- und Kommissionierungsbetriebe agieren? Nein, sagt der Österreicher Franz Wolfmayer. Er war viele Jahre lang Vorsitzender des EASPD, des Europäischen Dachverbands der Dienstleistungsanbieter für Menschen mit Behinderung. In dieser Funktion hat er einen guten Überblick über die europäischen Werkstattbetriebe gewonnen. Wolfmayer empfiehlt, sie zu sozialwirtschaftlichen Unternehmen weiterzuentwickeln, die vor allem Lösungen für regionale Probleme bereitstellen. Durch den Sozialraum- bzw. Gemeinwesenbezug ergäben sich attraktive, wohnortnahe Arbeitsplätze, die als sichtbares Aushängeschild der Werkstätten dienten. Diese Ausrichtung stärke das Vertrauen der Bevölkerung in die Leistungsfähigkeit behinderter Menschen. Sie betrachteten die Investitionen in die geschützten Arbeitsplätze nicht länger als Wohltat, weil die hier Beschäftigten etwas für das Gemeinwohl täten und Probleme lösten, für die es sonst oft keine Lösung gäbe.

Beispiele für eine solche Ausrichtung finden sich bereits vielfach in der bundesdeutschen Werkstattlandschaft: Die Stiftung Alsterdorf in Hamburg folgt beispielsweise seit Jahren der Idee einer quartierbezogenen Behindertenarbeit: Menschen mit Behinderungen arbeiten (und leben) zum großen Teil dezentral in den Stadtteilen. Aufgabe der Fachkräfte ist es, ihre Bedürfnisse mit denen der Bewohner in Einklang zu bringen. Sie sind in offen zugänglichen Anlaufstellen in den Stadtteilen präsent und bringen sich aktiv in das Alltagsleben ein. Die Werkstatt übernimmt Gemeinwesenaufgaben etwa mit einer Druckerei, einer Fahrradwerkstatt, einem Garten- und Landschaftsbau oder einer Gebäudereinigung. Behinderte Menschen arbeiten − allein oder in Gruppen − in Supermärkten oder Altenheimen, im Café oder bei IKEA. Es sind Arbeiten in der und für die Gemeinschaft, von dieser wahrgenommen und wertgeschätzt. Die Angebote sind − eine zweite Besonderheit −nicht nach Zielgruppen und Maßnahmeformen unterteilt. Menschen mit unterschiedlicher Art und Schwere der Behinderung, von der Tagesstätte bis zum Integrationsbetrieb, arbeiten gemeinsam mit nichtbehinderten Kollegen an denselben Aufgaben.

Regionale Erfolgsgeschichten bei der Übernahme von Gemeinschaftsaufgaben finden sich auch in Iserlohn, im ostfriesischen Burhafe und im nordhessischen Eschwege. Die Iserlohner Werkstätten schufen im historischen Bahnhof Letmathe mit dem Projekt Bahnsteig 42 eine Kultur- und Begegnungsstätte für die Stadt, die Lebenshilfewerkstatt für Aurich und Wittmund hauchte dem örtlichen Lebensmittelgeschäft eines ostfriesischen Dorfes neues Leben ein und leistete damit einen wichtigen Beitrag für die Lebensqualität der Dorfbewohner. Die Eschweger Werraland-Werkstätten übernahmen vom Kreis ein stark defizitäres Tagungshaus und machten daraus ein überregionales Vorzeigeprojekt: ein Touristen- und Tagungshotel mit Restaurantbetrieb, das von der attraktiven Lage auf dem stadtnahen KOCHSBERG profitierte und die verschüttete Tradition eines ehemaligen Ausflugslokals wieder aufleben ließ.

Die Isar-Würm-Lech-Werkstätten (IWL) schließlich betreiben in München mit ihrem IWENT-Casino Betriebs- und Schulkantinen und unterhalten einen großen Cateringbereich. Sie beweisen, dass Gastronomie mit behinderten Menschen sehr professionell sein kann. Dieser Erfolg wurde möglich durch eine grundsätzliche Neuausrichtung in Haltung und Werten. Die IWL steht für Empowerment und Mitwirkung. Sie beteiligt die Beschäftigten an allen Arbeitszusammenhängenund agiert wie ein gutes Unternehmen der freien Wirtschaft: Professionalität ist die Aufgabe jedes Einzelnen, behindert oder nicht behindert, bis in die scheinbaren Nebensächlichkeiten und kleinsten Details. Alle arbeiten gemeinsam am Gesamterfolg. Das Ernstnehmen der Beschäftigten, das Übertragen von Verantwortung und der konsequente Qualitätsanspruch veränderten auch die innere Einstellung des Personals zum Thema Behinderung. „Bei der IWL steht die Arbeit, nicht die Behinderung im Mittelpunkt.“ Diese Botschaft ist ein wichtiger Wettbewerbsfaktor und stärkt die Marktposition der Werkstatt.

Diese Beispiele zeigen: Die Werkstatt der Zukunft darf ihre Kunden nicht nur unter den ortsansässigen Firmen suchen, sondern muss sich mit der lokalen Politik und Verwaltung, mit Vereinen und Kirchen verbünden. Werkstätten müssen die Bedürfnisse der Bürger aufnehmen. Sie müssen Verantwortung für das Gemeinwesen tragen, Problemlösungen bieten und vor Ort sichtbar sein. Das setzt voraus, dass sie ihre Gebäude verlassen, sich dezentraler und flexibler aufstellen als bisher. Zusätzlich sollten sie Inklusion nach innen betreiben, d.h. ihre Arbeitsangebote stärker für Beschäftigte mit anderen Vermittlungshemmnissen sowie für Menschen ohne Behinderung öffnen. Wenn sie diese veränderte Grundausrichtung ausreichend kommunizieren und sich ihren festen Platz in der Gemeinde erobern, sichern sie ihre Daseinsberechtigung auch in Zeiten der immer deutlicher werdenden Inklusionsforderungen. Eine Neuausrichtung der beruflichen Teilhabe sollte dringend auch solche strategischen Elemente berücksichtigen.

Auf einer Fachtagung am 2. Mai in Fulda stellt die Europaakademie die Fragen nach der Fortentwicklung der beruflichen Teilhabe in Deutschland und der Zukunft der Werkstätten in den Mittelpunkt und lädt dazu deutsche und europäische Referenten und Diskutanten ein. Sie thematisiert die gesetzlichen Grundlagen der Werkstattarbeit, etwa die Regelungen zum Arbeitnehmerstatus, zum Entgelt und zum Rehabilitationsauftrag. Sie stellt aber auch Fragen zum Kundennutzen, zu einer nachfrageorientierten Qualifizierung und Bildung sowie zur hier thematisierten Neuorientierung der Werkstatt als Dienstleister für Gemeinde, Stadt und Region. Der Titel der Veranstaltung lautet „Ideen für die Werkstatt der Zukunft − Fachforum zur Weiterentwicklung der beruflichen Teilhabe in Deutschland vor dem Hintergrund europäischer und internationaler Tendenzen“.

Anmeldungen unter www.europa-akademie.info

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