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Dieter Basener:

Das Dilemma des Tripelmandats und die Konsequenzen


Dass die Übergangsquote aus Werkstätten in sozialversicherungspflichte Arbeitsverhältnisse niedrig ist, ist unstrittig. Alle Erhebungen, auch die seitens der BAG WfbM, ergeben seit Langem gleichbleibende Zahlen. Sie liegen im Promillebereich, genauer: Zwischen 0,1 und 0,2 Prozent im Jahr. Nur ein bis zwei von tausend Werkstattbeschäftigten finden also den Weg in ein tarifliches Arbeitsverhältnis. Strittiger ist dagegen, auf welche Gründe diese Tatsache zurückzuführen ist. Den gängigen Erklärungen nach liegen sie entweder bei den Beschäftigten selbst oder im Arbeitsmarkt. Nun liefert die Organisationssoziologie einen dritten Erklärungsansatz. Sie greift die schon häufiger beschriebene dreifache Aufgabenstellung der Werkstätten – Persönlichkeitsförderung, Übergangsförderung und Erwirtschaftung von Arbeitsentgelten – auf und zeigt, dass diese differierenden Ziele bestimmten Organisationseinheiten in der WfbM zugewiesen werden können, die sich gegenseitig behindern. Das „Opfer“ ist am Ende die Übergangsförderung. In der Zeitschrift Teilhabe der Bundesvereinigung Lebenshilfe, Ausgabe 1/2018, legen die Bielefelder Soziologen Malte Teismann und Klara Lammers dar, wie dieser Konflikt in der Organisationsstruktur der Werkstätten angelegt ist und wie er sich auswirkt. Und sie machen Vorschläge, wie er sich lösen oder zumindest in seinen Auswirkungen eindämmen lässt.

Organisationstheoretisch, so führen Teismann und Lammers aus, vereinen Werkstätten verschiedene Organisationstypen unter ihrem Dach. Wie Schulen oder Ausbildungsstätten sollen sie ihre Klienten mit neuen Kompetenzen ausstatten („people changing organisation“) und sie sollen sie, wie die Arbeitsagentur, in eine Arbeitsstelle vermitteln („people processing organisation“). Als drittes - und das ist für die meisten Werkstätten die Kernaufgabe - agieren sie als Wirtschaftsbetrieb, der den Marktgesetzen unterliegt: Sie sollen ihre Klienten mit Arbeit versorgen und über wirtschaftliche Tätigkeit Gewinne, und damit Löhne erwirtschaften („human service organisation“). Insbesondere die zweite und dritte Aufgabe stehen in Widerspruch zueinander, weil die Werkstätten dieselben Personen, die sie vermitteln sollen, für die Erfüllung ihrer wirtschaftlichen Ziele benötigen. Das wirtschaftliche Eigeninteresse hemmt bzw. blockiert die Vermittlungstätigkeit. Eine Besonderheit in der Funktion der Werkstatt als people-processing Organisation liegt darin, dass ein Übergang aus dem Berufsbildungsbereich in den Arbeitsbereich der Werkstatt auch als erfolgreiche Vermittlung betrachtet werden kann. Diese Möglichkeit steht anderen Vermittlern wie der Arbeitsagentur nicht zur Verfügung.

Der Auftrag der Förderung des Übergangs von Beschäftigten aus der Werkstatt in Arbeitsverhältnisse des allgemeinen Arbeitsmarkts (§ 5, Abs. 4 WVO) steht also im Widerspruch zur wirtschaftlichen Zielsetzung der WfbM. Diese umfasst übrigens nicht nur die Erträge aus Produktionstätigkeiten, sondern auch Kostensatzerlöse, und auch die Absicherung des Personals spielt in diesem Zusammenhang eine nicht unerhebliche Rolle. Organisationssoziologisch sei, so Teismann und Lammers, dieser Widerspruch durch das Nebeneinander von erwerbswirtschaftlichen Strukturen und people-changing Organisation eindeutig angelegt.

Weniger konfliktreich ist dagegen auf den ersten Blick die Beziehung zwischen dem Qualifizierungs- bzw. Persönlichkeitsbildungsauftrag und dem Vermittlungsauftrag der Werkstatt. Die people-changing-Aktivitäten können den Übergang vorbereiten, den das people-processing dann realisiert. Aber auch zwischen diesen beiden Aufgaben kann es Konflikte geben, insbesondere, weil sich die Werkstatt selbst, wie erwähnt, als dauerhafte Arbeitsmöglichkeit anbietet. Das Stichwort lautet „Werkstattsozialisation“. Teismann und Lammers führen aus, dass selbst Menschen, die der Werkstatt prinzipiell eher ablehnend gegenüberständen, bei einer Werkstattaufnahme deren Vorzüge schon nach kurzer Zeit zu schätzen lernen und sie als Teil ihrer Arbeitswelt erleben. Je länger Beschäftigte in der Werkstatt seien, desto schwieriger würde die Vermittlung auf den Arbeitsmarkt. Die Motivation, die eigene Situation zu verändern, nehme durch den „Gewöhnungseffekt“ ab. Die Bezüge zu KollegInnen und Fachkräften seien zudem oft familiärer als in regulären Beschäftigungsverhältnissen.

Im Resümee ihres Beitrags führen Teismann und Lammers aus, dass vieles dafürspricht, eine der Ursachen für die niedrige Vermittlungsquote von unter 0,2 Prozent tatsächlich in der komplexen Organisationsstruktur und dem Dreifachauftrag der Werkstatt begründet zu sehen. Diese könnten dazu beitragen, „dass diese Einrichtungen ein geringes Engagement in Bezug auf die Übergangsförderung ihrer Beschäftigten aufweisen“. Ihre Schlussfolgerung lautet, „dass der Herausforderung der Inklusion von Menschen mit Behinderungen in den allgemeinen Arbeitsmarkt nicht allein durch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen begegnet werden kann, sondern dass auch strukturelle Veränderungen in der WfbM eine Voraussetzung dafür sind.“ Die Autoren schlagen vor, die verschiedenen Organisationstypen innerhalb der Werkstatt klarer zu trennen und so die Zielkonflikte zu minimieren. Die Vermittlungstätigkeit könnte durch den Einsatz von speziellem Personal zur Übergangsförderung und den Aufbau von Übergangsgruppen gestärkt werden. Sie würden den Vermittlungen einen eigenen Stellenwert verleihen und dazu führen, dass sie weniger als Gegensatz zu den anderen Organisationszielen stehen bzw. wahrgenommen werden.

Der Beitrag der beiden Soziologen ist aufschlussreich und kann für den Gesetzgeber und die Kostenträger richtungsweisend sein. Es stellt sich allerdings die Frage, ob die von den Autoren ausgesprochenen Empfehlungen nicht lediglich den Symptomen ansetzen, statt die eigentliche Ursache zu bekämpfen. Diese liegt, wie sie aufzeigen, in der gesetzlichen Vorgabe widersprüchlicher Zielstellungen für die WfbM. Die logische, wenngleich radikalere Konsequenz lautet, den people-changing-Auftrag (die Qualifizierung bzw. berufliche Bildung) und den people-processing-Auftrag (die Vermittlung) an andere Einrichtungen bzw. Dienste zu vergeben und die Werkstätten sich darauf konzentrieren zu lassen, was sie ohnehin als ihr Kerngeschäft ansehen: Die Organisation von Arbeit.

Diese organisationssoziologisch saubere Lösung wäre in ihren Auswirkungen weniger gravierend, als mancher dies im ersten Moment befürchten mag. Schon vor zehn Jahren glaubten viele Werkstätten, eine Ausschreibung der Berufsbildungsmaßnahmen seitens der Bundesagentur für Arbeit sei nur noch eine Frage der Zeit und sie hatten sich bereits innerlich darauf eingestellt. Tatsächlich würde eine solchen Vergabe den von Teismann und Lammers beschriebenen frühzeitigen Effekt einer Werkstattsozialisierung verhindern und die Berufsbildungszeit könnte zu dem werden, was sie im Sinne der Teilnehmer sein soll: Eine Chance zur freien beruflichen Orientierung und Qualifizierung, die alle Möglichkeiten offenhält, eben auch die Möglichkeit, sich für die Arbeit in der Werkstatt mit ihren attraktiven Angeboten zu entscheiden. Die Verlagerung des Vermittlungsauftrages an einen externen Fachdienst würde die Werkstatt von der Last der Vermittlung entbinden und dem permanenten Vorwurf die Grundlage entziehen, sie verhinderten aus Eigennutz Übergänge in den Arbeitsmarkt. Notwendig wäre ein flächendeckendes Netz von Vermittlungsdiensten, die schon in den Abschlussklassen der Schulen tätig sein und den Leistungsberechtigten Wahlalternativen bieten könnten. In Hamburg gibt es mit der Hamburger Arbeitsassistenz seit über zwanzig Jahren einen solchen Dienst. Werkstätten und Fachdienst kooperieren mittlerweile gut miteinander, die Werkstätten bieten eine Vielzahl von Außenarbeitsplätzen, das Budget für Arbeit hier ist ein Erfolg und für das Wunsch- und Wahlrecht der Werkstattberechtigten bieten sich ausreichend Angebote.

Ein Entzerren des Trippelmandats und eine Verteilung der Aufgaben auf unterschiedliche Träger erfordert allerdings eine Revision der gesetzlichen Grundlagen, insbesondere der bald 40 Jahre alten Werkstättenverordnung. Die ist allerdings ohnehin geplant.

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