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Bedenkliche Tendenzen in der Berufsbildung der WfbM

Berufliche Bildung in der Werkstatt - so lautet der gängige Trend - soll sich an anerkannten Ausbildungsberufen orientieren und möglichst viele Inhalte dieser Berufsbilder vermitteln. Als Leitvorstellungen gelten anerkannte Teilabschlüsse und die Möglichkeit, eine Vollausbildung anzuschließen. Auch die BAG WfbM arbeitet gemeinsam mit 14 Landesarbeitsgemeinschaften an standardisierten Bildungsrahmenplänen.

Für diese Orientierung an der regulären Berufsausbildung werden drei Gründe genannt:
1. Nachweisbare Qualifikationen sollen die Vermittlungschancen der Teilnehmer verbessern.
2. Teilabschlüsse und Zertifikate können ihr Selbstbewusstsein stärken.
3. Die Ausrichtung der WfbM-Berufsbildung an der Regelausbildung soll das Image der Werkstätten heben und ihre Marktposition im künftigen Wettberwerb stärken.

Das klingt einsichtig, aber die Orientierung beruflicher Bildung in der WfbM an vorhandenen Ausbildungsgängen ist dennoch der falsche Weg. Warum? Im Übergang von der Schule in den Beruf geht zunächst um die Öffnung des Blicks, um die berufliche Orientierung in unterschiedliche Berufswege und Arbeitsfelder. Jugendliche, die mit 18 Jahren die Schule verlassen, müssen ihre eigenen beruflichen Ziele bestimmen. Sie müssen unterschiedliche Tätigkeiten erproben, sie müssen testen können, ob sie in der Werkstatt oder in einem Betrieb arbeiten wollen. Das gelingt über Praktika innerhalb und außerhalb der Werkstatt, über eine persönliche Zukunfts- und Berufsplanung und über die Vermittlung von Schlüsselqualifikationen. Dazu gehört das Verständnis für die Regeln des Arbeitslebens, Kommunikationsfähigkeit, Frustrationstoleranz, Konfliktbewältigung und Teamarbeit. Die Berufsbildungszeit muss insbesondere für Jugendliche mit geistiger Behinderung die Zeit des Ausprobierens, der Zielfindung und der Stabilisierung sein. Für eine verfrühte Festlegung sind diese zwei Jahre zu kostbar.

Erst wenn diese Phase abgeschlossen ist, geht es um den Einstieg in ein Berufsfeld. Er kann im Einzelfall über Abschlüsse, Teilabschlüsse oder Zertifikate erfolgen, muss es aber nicht. Abschlüsse - mit oder ohne Anerkennung durch die Kammern - sind für den Übergang aus der Werkstatt in den Arbeitsmarkt von untergeordneter Bedeutung, wie die Entwicklung der Unterstützten Beschäftigung in den letzten 20 Jahren beweist. Werkstattbeschäftigte finden keinen betrieblichen Arbeitsplatz, indem sie sich mit ihrem Zertifikat bewerben, sie finden ihn über einen Jobcoach oder Integrationsbegleiter. Er umgeht die üblichen Bewerbungsverfahren, trifft mit dem Arbeitgeber individuelle Absprachen, garantiert eine reibungslose Einarbeitung und die Bewältigung eventuell auftretender Krisen. Die Zusage, dass sich jemand verlässlich und dauerhaft um die Interessen der Person und des Betriebs kümmert, wiegt sehr viel mehr als ein Zertifikat der Werkstatt. Nur diese Sicherheit öffnet den Zugang zum Betrieb. Die eigentliche Qualifizierung erfolgt ohnehin erst im Praktikum bzw. nach der Arbeitsaufnahme in der Echtsituation. Erst wird platziert, dann qualifiziert.

Noch ein weiteres Argument spricht gegen die Reihenfolge „erst qualifizieren, dann platzieren“. Bildungsrahmenpläne orientieren sich an den beruflichen Möglichkeiten der Werkstatt. Die Berufsbilder heißen Lagerlogistik, Tischlern, Metallbau, Kochen, Garten und Landschaftsbau oder Hauswirtschaft. Wenn die Werkstatt über externe Arbeitsmöglichkeiten verfügt, erweitert sich das Angebot vielleicht um die Alltagshilfe im Kindergarten oder im Altenheim, um das Gastgewerbe, den Einzelhandel oder die Wagenpflege. Die Vielfalt der beruflichen Möglichkeiten außerhalb der Werkstatt werden sie aber nie abbilden können. In Deutschland gibt es 330 Ausbildungsberufe. Im Zweifel wirkt sich ein Zertifikat sogar negativ aus: Es engt die Möglichkeiten ein, statt sie auszuweiten. Wenn jemand in der Werkstatt einen Abschluss als Lagerhelfer erworben hat, wird er dann noch in seinen heimlichen Traumberuf als Pferdepfleger wechseln? Noch schlimmer wäre es, wenn diese Teilqualifikationen zur Voraussetzung für die Vermittlung in den Arbeitsmarkt gemacht würden. Damit würde ein Nadelöhr geschaffen, das nur für wenige Werkstattbeschäftigte offensteht, alle anderen wären von der Integration ausgeschlossen.

Um es klar zu sagen: Ich spreche mich hier nicht gegen die Möglichkeit zu Teilqualifikationen oder Ausbildungsabschlüssen aus. Wer will, soll sie erwerben können, innerhalb oder außerhalb der Werkstatt. Menschen mit psychischer Behinderung haben dabei möglicherweise einen anderen Bedarf als Menschen mit einer geistigen Behinderung. Berufliche Bildung und Qualifizierung, Abschlüsse und Zertifikate sind aber kein Selbstzweck. Sie dienen einem übergeordneten Ziel: Dem Einstieg in eine langjährige, befriedigende Berufstätigkeit. Und die hat im Zweifel für die Werkstattmitarbeiter eine höhere Bedeutung als die punktuelle Bestätigung einer erworbenen Qualifikation.

Noch ein Wort zum dritten der oben aufgeführten Argumente, dem Werkstattimage und dem sich abzeichnenden Wettbewerb. Bei der beruflichen Bildung geht es in erster Linie um Selbstbestimmung und Wahlmöglichkeiten der Beschäftigten, um ihren Berufswunsch und ihre Lebensplanung beim Eintritt ins Erwachsenenalter. Die Belange der Werkstatt müssen dahinter zurückstehen. Wir alle wünschen uns ein positives Image für die WfbM, wir dürfen dafür die besonderen Interessen der Beschäftigten aber nicht einer wenig zweckdienlichen Ausrichtung an der „Normalität“ opfern. Leider fährt der Zug derzeit genau in diese Richtung. Es ist sehr zu hoffen, dass der Hype um Rahmenpläne und Teilqualifikationen sich nicht zu sehr in der nächsten HEGA für den Berufsbildungsbereich niederschlägt.

Dieter Basener

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